Das Hirtenmädchen Barbara

Es sind nicht nur die großen Denkmale, die den Betrachter begeistern, sondern vielfach die kleinen Kunstschätze und Kostbarkeiten, die zum Denken anregen. Von diesen haben auch wir einige in unserer Stadt und in den Ortsteilen zu bieten.

Unter dem Dach des Marktbrunnens, der bereits 1910 entstanden ist, hat das „Hirtenmädchen Barbara“ Unterkunft gefunden und das schon seit 1956.

Eine Schöpfung der Bildhauerin Dorothea von Philipsborn in Bronze. Diese bezieht sich auf eine Liebenwerdaer Sagengestalt. Das Mädchen schaut mit verträumten Blick auf das Wasser, welches aus den beiden Fischen in das Brunnenbecken rinnt. Der Sage nach, soll sie sich der Pestkranken im Mittelalter angenommen und so die Pest aus Liebenwerda vertrieben haben. „Barbara“ verkörpert die aufblühende Stadt. Mit den beiden Fischen in ihren Händen, verweist sie auf die, für die Bewohner an der Elster, so wichtige Nahrungsquelle. Mit der Inschrift am Dach des Brunnens spricht sie uns alle mahnend an:

„Mein Quell rauscht über alle Zeiten, ich sah die Stadt in Glück und Not, was sich die Menschen selbst bereiten, das ernten sie – Sturm oder Brot!“


Die „Barbaras“ unserer Stadt von 2004 bis heute


Das heilsame Elsterwasser (Sage)

Im alten slawischen Fischerdorf Stadtwinkel an der Schwarzen Elster lebte am Dorfrande das Hirtenmädchen Barbara mit ihren Eltern in bescheidenen, fast ärmlichen Verhältnissen. Der Dreißigjährige Krieg hatte viel Leid gebracht und täglich verfielen immer wieder Bewohner der um sich greifenden Pestilenz.

Die leer stehenden, strohgedeckten Hütten verkündeten, dass der schwarze Tod die Hausbewohner geholt hatte. Das Hirtenmädchen fürchtete sich und war verzweifelt über das grausame Geschehen im kleinen Dorf. Eines Abends verließ sie, im hellen Schein des aufgehenden Mondes, ihre Hütte und ging in Richtung Elster.

Der Barbara Brunnen

Dabei schritt sie auf einen Erlenbusch zu, um dort eine kurze Zeit zu verweilen. Sie kniete nieder und rief den Wendengott Lupa an, dass er das Leid der Menschen an der Schwarzen Elster doch beenden möge. Sie glaubte an die Kraft der Gunst der Götter ihres Volkes, weil ihre Großmutter viel von diesen Göttern erzählt hat. Sie erhob sich, verbeugte sich nochmals vor den grünen Zweigen des Erlenbusches und vernahm von der Elster ein Rauschen, das bis zum Busch anschwoll und ganz plötzlich trat Stille ein.

Eine fast flüsternde Stimme schien sie zu vernehmen, die da zu ihr sprach: „Barbara, lege deine Schuhe ab, gehe erhobenen Hauptes den Pfad zur Elster, den ich dir zeigen werde. Dann schreite gerade aus zu einer Furt des Flusses bis an das gegenüberliegende Ufer. So ich dich führe, musst du gehen, weiche nicht vom Wege ab. Dann kehre um und schreite bis zur Mitte des Flusses zurück. Breite deine Hände nach beiden Seiten aus und tauche sie ins Wasser, so tief du kannst. Du wirst je einen Fisch in den Händen halten.

Nun tritt ans Ufer und töte sie mit einem Stein, den du dort wirst finden. Eile schnell nach Hause und brate beide Fische, dann geh zurück zur Elster, schöpfe mit einem Krug vom Elsterwasser. Auf dem Heimweg musst du den Erlenbusch besuchen. Knie nieder und halte beide Hände über diesen Krug. Das so geweihte Wasser wird nun Heilkraft besitzen. Erst nach Sonnenaufgang gehe zu den von der Pest befallenen Kranken und reiche ihnen Speise von den Fischen sowie Wasser aus dem geweihten Krug. Das wiederhole Nacht für Nacht und Tag für Tag.“ Barbara tat, was ihr gesagt war. Niemals sprach sie davon. Bereits nach wenigen Tagen standen die ersten Bewohner wieder auf und erholten sich in kurzer Zeit. Alle ahnten, das etwas geschehen war in den vergangenen Tagen, wovon jedoch keiner zu sprechen wagte. Der Gott der Wenden hatte Barbara die Kraft gegeben, die Pest zu vertreiben.

Bis zur Stadt war das Wunder bekannt geworden. Der evangelische Pfarrer Gilbert machte sich auf, um das wundersame Geheimnis zu enträtseln. Beim Betreten des kleinen Dorfes konnte er jedoch keine außergewöhnlichen Dinge feststellen und aus dem Gespräch mit dem Hirtenmädchen ging hervor, dass sie mit Heilkräutern versucht habe, das Leid zu lindern und in einigen Fällen einen Heilungsprozess erzielen konnte. Nichts sei daran wahr, was da von einem geheimnisvollen Gott erzählt werde. Sie bewahrte alle Ereignisse in ihrem Herzen, aber sie glaubte an diesen sagenumwobenen Erlenbusch als den heiligen Hain der Wenden aus längst vergangenen Zeiten. Sie glaubte an diese überlieferten Bräuche ihrer Vorfahren und an den Wendengott Lupa …

Auch fortan blieb sie dem Glauben treu bis an ihr Lebensende. Das kleine Denkmal auf dem Marktplatz sagt dem Betrachter, da sei ein Hirtenmädchen hier gewesen, das vor den Toren dieser Stadt gelebt hat. Nichts wird gesagt, welche Vorfahren sie gehabt und welchem Glauben sie hat angehangen. Nie hat sie die Gunst der Götter preisgegeben.

Walter Hartwig Ortschronist (1997 verstorben)